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Wenn es jemals einen Menschen gab, an den wir mit unserem ganzen Herzen glaubten, wenn es jemals einen Menschen gab, dem unsere ganze Liebe gehörte, wenn es jemals einen Menschen gab, an dessen unbedingtes Genie wir glaubten, dann war es Lucius Onagre, der Theatermacher, der vor mehr als siebzig Jahren nach der Premiere seines letzten gewaltigen Werkes „Basilisk“ spurlos verschwand.

Das „Literarische Luftschloss“ des Wiener Schriftstellers Arno Tauriinen entführt den Leser in eine andere Zeit: Die Visionen Franz Kafkas stürzen ins ausgehende Barock…

(Offizieller Klappentext)

Buchkritik

Was habe ich mich gefreut, endlich wieder einmal so etwas zu lesen. Mag sein, dass das im Grunde genommen engstirnig und selbstbezogen ist – denn dieses Buch hat mir vermutlich vor allem deshalb so gut gefallen, weil es meinem eigenen Schreiben nahekommt.

Des Buches Inhalt

Sei es drum. Jedenfalls habe ich es als sehr wohltuend empfunden, dass es in dieser Geschichte nicht um möglichst realistische Schilderungen möglichst authentischer Figuren mit möglichst gesellschaftsrelevanten Themen und Problemen geht, sondern um – alles. Und nichts. Es geht um alles und nichts und die Welt als große Bühne, auf der die Menschen auftreten und wieder abtreten. Der phantastische Theatermacher Lucius Onagre plant Großes. Seine Aufführungen werden immer aufwändiger, gigantischer, sie verschlingen immer mehr Menschen und Material. Und doch ist alles Erreichte nur eine Vorübung für das eine größte Spektakel. Er möchte schlussendlich die gesamte Welt zum Schauplatz seiner Inszenierung „Basilisk“ machen. Nichts und niemand entkommt dem Schauspiel, alles wird ein Teil des merkwürdigen Mummenschanzes. Und das Theatergenie Lucius Onagre, das während der laufenden Inszenierung verschwindet, er ist niemand anderer als Gottes abtrünniger Sohn, Luzifer himself, ´Luciver´ geschrieben.

Des Buches Szenerie

Seine zentrale Wirkungsstätte und der Ausgangspunkt der Inszenierung ist die von ihm geschaffene Stadt W., eine fiktive, barock anmutende und zugleich aber modrige Fin-de-siècle-Alternativversion Wiens.  Dieser farbenprächtige, düstere Moloch, schillernd in blättrigem Gold und Traurigkeit, bietet den Figuren den Raum, um ihre Kapriolen zu schlagen. Zeit und Raum verschmelzen hier zu einem einzigen Sphären-Bottich, aus dem nach Lust und Laune Material und Figuren hervorgeholt werden. Sehr hübsch ist die Idee der sich stetig vermehrenden und sogleich lebensmüden Mozart-Reinkarnationen, deren kognitive Leistungsfähigkeit von Wiedergeburt zu Wiedergeburt schwindet und von denen immer wieder etliche auf unglückliche Weise zu Tode kommen. Auch Sigmund Freud hat einen Gastauftritt, ebenso de Sade, Richard Wagner, Gustav Mahlers Halbbruder und auch der eine oder andere deutschsprachige Dichter, wie Hofmannsthal und Grillparzer.

Des Buches Thema

Worum es genau geht, wer will es sagen? Eben um alles und nichts. Vielleicht geht es auch ein wenig um den fernen Vater, um dessen ausbleibenden Lobes willen Luciver das ganze Spektakulum veranstaltet. Vielleicht geht es auch um den Gegensatz zwischen dem ordnungsliebenden Schöpfergott, dessen Erzeugnisse harmonisch und fad sind, und seinem sehr viel kreativeren ehemaligen Lieblingssohn. Und auch von einer weiteren Instanz, dem Großvater, ist die Rede. Sein Kommen ist in Aussicht gestellt, und vor ihm wird auch Gottvater wieder klein und Kind werden.

„DER MEISTER wird kommen. Der Meister? Der MEISTER.

Nicht irgendein Gott, nicht irgendein Dämon, keine schönen Riesenheuschrecken und kein Betrug, kein Gott und keine gefallenen Engel, diesmal – kommt ER.

Gesucht, geahnt, nie gekannt! Der uns nicht etwa sagt, daß die Sünde für alle und der Himmel nur für Auserlesene da sei -! DER MEISTER läßt Verdammnis und Erlösung der Vergangenheit angehören, er kleidet Moder und Verfall in die Illusion der absoluten Schönheit. Nun, da der Meister kommt, sehen sich die höchsten Mächte selbst gestürzt, während aus allen Bezirken die Gäste herbeiströmen, und aus den Wohnhäusern lorgnettieren alte Damen und Hausgeister aus ihren wie Theaterlogen ausstaffierten Fenstern.“

Der Meister ist der eigentliche Schöpfer. Wird er kommen oder nicht? Gibt es ihn oder nicht? Es ist im Grunde egal. Aber ja, es gibt ihn in diesem Buch. Doch er läuft gleichgültig am Geschehen vorbei, denn er erkennt nicht, dass all die Aufregung und all der Maskenball der Menschen ihm gelten. Und würde er es erkennen, vermutlich machte es keinen Unterschied. Er hat mit alldem einfach nichts zu tun. Und so wäre es wohl auch, wenn es ihn gäbe.

Des Buches Gestaltung

Bevor ich zum allerletzten Schluss komme, sollen natürlich noch ein paar Sätze zur Gestaltung des Buches fallen, denn hier wurde sich offenkundig Mühe gegeben, ein besonderes Werk zu erschaffen – und das verdient Erwähnung. Das Buch ist verziert mit vielen intensiven Illustrationen von Max P. Häring, der sein Handwerk versteht. Stilistisch sind es recht heterogene Zeichnungen, die mal an Gustav Klimt erinnern, mal an Gustave Doré und mal an moderne Comic-Kunst. Ob die Illustrationen immer in einem unmittelbar erkennbaren Zusammenhang zum Text stehen, mag ein jeder anhand seiner Assoziationen selbst beurteilen. Interessant anzuschauen jedenfalls sind sie immer. Allein, warum der Buchsatz ist, wie er ist, erschließt sich mir erst einmal nicht (Flattersatz, keine Einrückungen, teilweise sehr eigenwillige Silbentrennung). Und: Am liebsten hätte ich dieses Werk als Leinen-Hardcover-Ausgabe mit Goldprägung, Goldschnittverzierung und Lesebändchen gesehen…

Fazit

„Goldgefasste Finsternis“ ist ein phantastisches Buch, ein Buch von jenen Büchern, die ich öfters zu lesen bekommen möchte. Ein Buch, von dem ich wünschte, es wäre von mir. Es sind  darin zu finden: Schönheit, Traurigkeit, Wahrheit und der Witz, mit dem allein das alles zu ertragen und künstlerisch zu verwalten ist. Chapeau. Ich gratuliere. Florian L. Arnold hat Arno Tauriinen etwas Wunderbares schreiben lassen.


Das Buch

Arno Tauriinen: Goldgefasste Finsternis. Roman. Mit Illustrationen von Max P. Häring. Topalian & Milani, Oberelchingen 2017; 292 Seiten, 21 Euro.


Der Autor

Mehr von und zu Arno Tauriinen erfährt man kaum hier und möglicherweise auch nicht auf der Website von Florian L. Arnold.

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