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„Eine kurze Begegnung, die ein ganzes Leben lang nachwirkt.“

Als Paul sich damals gleichzeitig in Katharina Himmelfahrt und seine Lehrerin Frau Zucker verliebte, schien alles in die richtige Richtung zu gehen. Jetzt sitzt er buchcover_fünf löcher im himmel_kleinin einem alten japanischen Sportwagen, auf der Flucht vor der Polizei, und fragt sich, wie das alles kommen konnte.

Rocko Schamoni stellt in seinem neuen Roman die existenziellen Fragen. Und findet darauf so poetische wie unnachsichtige Antworten.

(Offizieller Klappentext/Verlagstext)


Buchkritik

Eine kurze Lektüre, die kein bisschen nachwirkt

Wenn ich ein Buch von Rocko Schamoni lese, habe ich keine allzu großen Ansprüche. Genauso geht es mir im Übrigen auch mit Schamonis Kompagnon, Heinz Strunk. Ich erwarte lediglich kurzweilige Unterhaltung, hier und da vielleicht einmal eine überraschende und lustige Formulierung. Keines der Bücher, die ich bisher von Schamoni oder Strunk gelesen habe, läuft für mich unter der Kategorie wirklich guter Literatur. Eine Erweiterung meines Erkenntnishorizonts oder sonstige Aha-Effekte erwarte ich in den Büchern dieser Autoren sicher nicht zu finden. Aber das ist ja auch nicht immer nötig. Manchmal bin ich völlig zufrieden, wenn mich ein Buch kurzweilig unterhält.

Das hat dieses Buch aber nur bedingt getan: Es hat sich schnell weggelesen; insofern war es gewissermaßen kurzweilig. Es hat mich auch irgendwie unterhalten – aber eben nur im Sinne von: ich habe meine Zeit damit verbracht. Gute Unterhaltung wäre noch einmal etwas anderes gewesen. Alles in allem war es enttäuschend und sogar etwas nervig.

Geschichten, die das Leben schreibt (1)

Das Buch besteht aus zwei Ebenen. Die eine Ebene erzählt die gegenwärtige Geschichte des mittlerweile 67jährigen Protagonisten Paul, der obdachlos wird. Warum genau, bleibt meines Wissens unerwähnt. Jedenfalls rettet er aus seinem Besitztum, das Arbeiter (oder wie er sie nennt: „Maschinen, ausführende, stumpfe Automaten“) in einen Container verfrachten, eine alte Zigarrenkiste, in der sich Fotos und ein schwarzes Schulheft befinden. Dieses Schulheft wird als Tagebuch des jungen Pauls vorgestellt. Nun wechseln sich Passagen, in denen die gegenwärtige Handlung erzählt wird, in der der alte Paul mit Seesack und Revolver (bei dem keiner weiß, warum er einen solchen besitzt) durch die Lande zieht, mit Passagen ab, in denen die Geschichte des jungen Pauls in Form von Tagebucheinträgen erzählt wird. Der junge Paul verliebt sich im Rahmen einer Theater AG, die den „Werther“ probt, in seine Mitschülerin Katharina und fühlt sich zugleich zumindest libidinös zu seiner Lehrerin Frau Zucker hingezogen. Außerdem ist im Heft zwischendurch die Rede von Pauls alkoholkrankem Vater. Dann gibt es in der Theater AG auch noch Keil (wow, dieser bedeutungsschwere Name!), der zwischen Paul und Katharina steht. Er spielt nämlich in dem Stück den Werther, während Paul den Albert spielt. Und Keil spielt so gut, dass ihn alle bewundern und Paul eifersüchtig ist, weil er nicht weiß: sind die Gefühle zwischen Katharina (Lotte) und Keil (Werther) echt oder nur gespielt? Katharina trifft sich sowohl mit Keil als auch Paul, um zu proben, was Pauls Eifersucht noch schürt – und Keils Eifersucht wohl auch. Paul hat Sex mit Katharina und – wahrscheinlich – auch mit seiner verführerischen Lehrerin Frau Zucker. Beneidenswert. Die Träume eines fast jeden männlichen Pubertierenden werden hier Wirklichkeit. Der Paul hat das gewisse Etwas – und deshalb sowohl die Junge als auch die Erfahrene am Haken bzw. auf seinem Schoß. Schließlich kommt der Tag der Aufführung. Die Pistole Werthers wurde mit echter Munition geladen. Keil scheint das zu wissen und drückt trotzdem ab. Gehirn und Blut spritzen, alle klatschen, bis man bemerkt: Keil ist wirklich tot. Tja, so gehen Schüleraufführungen zu Ende. Zunächst wird Selbstmord in Erwägung gezogen, dann wird aber doch Paul verdächtigt – wegen der Eifersüchteleien. Und er kommt ins Jugendgefängnis. Das war wohl die frühe, ungünstige Entwicklung, die sein Leben auf die falschen Gleise gebracht hat.

Geschichten, die das Leben schreibt (2)

Was allerdings der erwachsene Paul dann nachher mit seinem Leben bis zum Rentenalter gemacht hat, wird nicht so richtig klar. Jedenfalls, er wird im Alter obdachlos, er trinkt, raucht, bricht auch mal irgendwo ein und gibt zwischendurch mittels des Erzählers seine Ansichten über das Leben und die Menschen von sich, auf die er von einer erhöhten Warte herabblickt, weil die anderen ja alle nur funktionierende Rädchen im Getriebe sind, während er den Durchblick hat. Außerdem findet er auf seinem Weg auch noch einen Freund, der Pocke heißt. Der ist anfänglich Kneipenbesitzer, macht dann seinen Laden dicht und bringt auf Reisen in der Welt sein Erspartes durch. Paul übernimmt von ihm für die Zeit seiner Abwesenheit leihweise einen japanischen Sportwagen und einen Wellensittich. Der Wellensittich heißt Wolfgang. Lustig, ha, ha. Später kommt Pocke zurück und trifft sich mit Paul, um seinen Sportwagen wiederzubekommen und zu verkaufen. Mittlerweile ist der Wagen von Paul zu Schrott gefahren worden. Aber der Vogel lebt noch. Paul und Pocke haben kein Geld mehr. Daher machen sie einen Überfall, bei dem ein Rentner, der zufällig aus dem Fenster guckt und ein Schießgewehr parat hat, Pocke in den Kopf schießt. Sowas kann vorkommen. Pocke stirbt aber nicht, sondern erleidet offenbar einen Hirnschaden, der ihn bis zum Schluss des Romans zu einem Fleischklops werden lässt, der unsinniges Zeug vor sich hinbrabbelt.

Der Kreis des Lebens schließt sich

Schlussendlich kommt Paul auf die Idee, die Katharina Himmelfahrt von damals ausfindig zu machen, denn: warum nicht? Das ist auch gar kein Problem, sie steht im Telefonbuch. Er ruft an, sie sprechen miteinander, und es stellt sich heraus, dass Katharina damals die echte Munition in die Pistole getan hat, mit der sich Keil (offenbar sehenden Auges) selbst gerichtet hatte. Klar, was sonst? Die Motivlage ist ja auch völlig eindeutig: Keil hatte irgendwie gestört. Da war die einzige wirklich gangbare und naheliegende Lösung für ein sechzehnjähriges Mädchen, ihn durch Mord aus dem Weg zu räumen. Tja, so sind sie, die jungen Dinger, beziehungsweise so waren sie, die jungen Dinger, in den guten alten Sechzigern! Ich nehme an, Katharina Himmelfahrt hat sich später der RAF angeschlossen – oder diese aus der Anonymität heraus und unter Decknamen selbst gegründet. Aber auf jeden Fall ist nachher dann klar geworden, dass diese kurze Begegnung damals mit Katharina Himmelfahrt und auch Keil dafür verantwortlich war, dass sich Pauls Leben so entwickelt hat, wie es dann der Fall gewesen ist. Oder wie es der Klappentext sagt: „Eine kurze Begegnung, die ein ganzes Leben lang nachwirkt.“ Das ist sehr tragisch. Und verblüffend, wie so Kleinigkeiten wie ein Mord so nachhaltig Einfluss nehmen können auf einen Lebenslauf. Feinsinnig und präzise nachgespürt und dargestellt von Rocko Schamoni. Der Mann für die leisen Töne deckt auf, wie ungünstige Umstände und unaufgeklärte Missverständnisse ein Leben aus der Bahn werfen können. Natürlich, Paul war es gar nicht, sondern Katharina bzw. Keil selbst. Das ist selbstverständlich misslich. Paul war unschuldig! Zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit! Kein Wunder, dass Paul am Schluss symbolisch fünf Schüsse in die Luft abfeuert, um nachträglich Gerechtigkeit bzw. Vergeltung zu üben, am Leben, an der Gesellschaft, an allem. Fünf? Warum fünf? Da kann man nur spekulieren, was der Autor damit sagen will. Vielleicht hat die Parabellum nur Platz für fünf Patronen? Ich weiß es nicht und habe auch keine Lust zur Recherche. Vielleicht erschießt Paul symbolisch Frau Zucker, Katharina, Keil, seinen Vater und sich selbst? Keine Ahnung. Aber eigentlich ist es mir auch total egal.

Fazit

Dieses Buch ist irgendwie Mist. Die Handlung ist überzogen, aber um absurd zu sein, nicht überzogen genug. Die Geschichte von der Theater AG, in der sich der Darsteller des Werther dann wirklich auf der Bühne erschießt, ist erstens nicht besonders originell und zweitens in der vorliegenden, beinahe beiläufigen Form bescheuert. Die Gedanken des alten Paul über das Leben sind öde. Das Ganze bewegt sich auf dem Niveau eines Jugendlichen, der Hermann Hesse gelesen hat, daraufhin glaubt, die Welt und das Leben erkannt zu haben und das dann in eigenen Worten noch einmal schlechter wiedergibt.

Bei solchen Büchern ärgere ich mich immer sehr. Sowas kann nur produziert und verkauft werden, weil der Autor bereits einen bekannten Namen hat. Die Qualität des Geschriebenen kann hier kaum den Ausschlag gegeben haben. Stilistisch ist es zwar halbwegs in Ordnung; was aber auch der Mindestanspruch ist, den man an ein Buch, das in einem renommierten Publikumsverlag erscheint, haben darf. Was jedoch die Geschichte anbelangt, ist es an den Haaren herbeigezogener Mumpitz. Und auch die Komposition überzeugt nicht. Auf mich wirkt es, als wären die beiden Ebenen ursprünglich nicht zusammengehörig geplant gewesen. Die Tagebucheinträge und die gegenwärtige Geschichte korrespondieren kaum miteinander. Hergestellte Bezüge wirken eher behelfsmäßig und konstruiert. Insofern wundert es auch nicht, dass die Verbindung der damaligen Vorfälle im Leben des jungen Pauls mit der Situation des alten Pauls nicht wirklich ersichtlich wird. Im Grunde genommen gibt es keine.

Eine Rezension gegen den Strich

Wenn ich mir die auf der Verlagsseite herangezogenen positiven Kritiken aus der Presse ansehe, muss ich mich sehr wundern. Ich glaube kaum, dass ein Newcomer und Nobody mit einem solchen Text einen Verlag gefunden hätte. Aber hier wird eben nicht ein literarisches Buch verkauft, sondern die Marke „Rocko Schamoni“. Für mich stand diese Marke bisher für im besten Falle kurzweilige Unterhaltung, nicht mehr, nicht weniger. Aber dieses Buch bedient diese bescheidene Erwartungshaltung nicht. Nichts daran ist lustig, und immer wenn Pauls pseudo-elitäre Weltanschauungsgedanken mitgeteilt werden, nervt es. Ich kann es entschieden nicht leiden, wenn mir jemand besonders klug kommt, dann aber nichts Besonderes zu sagen hat. Von philosophischem Tiefsinn keine Spur. Wie die entsprechenden Rezensenten zu ihren positiven Einschätzungen kommen, bleibt mir schleierhaft. Wahrscheinlich handelt es sich um Rocko-Schamoni-Fans. Ich selbst finde den Autor übrigens auch durchaus sympathisch. Aber deshalb muss ich sein Buch, das in meinen Augen misslungen ist, nicht loben.

Womöglich stellt Rocko Schamoni in seinem neuen Buch existenzielle Fragen, wie es der Klappentext verlautet. Meinetwegen. Aber er sollte es lieber lassen. Die vermeintlichen Antworten sind weder poetisch noch haben sie genügend Tiefe, um „unnachsichtig“ zu sein, wie es im Klappentext steht. Eigentlich sind es noch nicht einmal Antworten.

Das Problem an diesem Buch ist, dass Schamoni hier – vielleicht offensichtlicher als sonst – tatsächlich versucht, etwas Tiefes zu schreiben, etwas Anspruchsvolles, etwas Bedeutungsschweres. Ich aber würde sagen: Schuster, bleib bei deinen Leisten!


Das Buch:

Rocko Schamoni: Fünf Löcher im Himmel. München 2014 (Piper).

192 Seiten, 16,99 €, ISBN: 978-3-492-05629-8


Der Autor:

Mehr von und zu Rocko Schamoni findet man unter: http://www.rockoschamoni.de/

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