„Die Wahrheit einer Geschichte ist immer die Geschichte dieser Wahrheit“, sagt Erwin Wiederkehr, der rätselhafte Komplize Schweighausers in dieser Geschichte. Aber was heisst schon Wahrheit? Vor allem, wenn es um Zeitungsnachrichten geht. Gibt es nicht falsche Wahrheiten und ebenso wahre Lügen? Verwirrung herrscht. Am Ende ist alles ganz anders und die Wahrheit bleibt auf der Strecke.
Armin Schweighauser, gelangweilter Korrektor eines Zeitungsverlages, beschliesst eines Tages, seinem freudlosen Dasein buchstäblich ein Ende zu setzen. Er beginnt, die Nachrichten zu fälschen. Ein wagemutiges Experiment, das zunächst folgenlos bleibt. Derweilen rumort es hinter den Kulissen des Verlags. Als sich Schweighauser auf das zweifelhafte Angebot Wiederkehrs einlässt, sein falsches Spiel unter neuen Vorzeichen fortzusetzen, und ein Todesfall sein Treiben in neue Bahnen lenkt, beginnt sein Verhängnis.
(Offizieller Klappentext)
Buchkritik
Dieses Buch hat mich interessiert. Zum einen, weil mich das Verhältnis von Wahrheit und Fiktion seit langer Zeit selbst sehr beschäftigt, zum anderen, weil im Zentrum der Geschichte ein kleiner Korrektor steht – ein Figurentyp, der viel Potential für Absurditäten in sich trägt und darüber hinaus meinem eigenen alltäglichen Arbeitsfeld sehr nahesteht. Ein dritter Grund mag auch darin liegen, dass der Titel natürlich an „Die Korrekturen“ von Franzen erinnert. Interessant an diesem Buch ist zusätzlich, dass es im Selfpublishing bei BoD erschien. Und weil der Autor in seiner Kontaktaufnahme zwar durchaus hartnäckig, dabei aber immer professionell und sympathisch wirkte, habe ich mich schließlich gerne der Lektüre dieses Debüts gewidmet.
Ralph Schröders Erstlingswerk zeichnet sich vor allem auch durch einen individuellen Sprachgebrauch des Autors aus. Er nutzt bevorzugt längere und verschachtelte Sätze, welche dem Buch eine gewisse Langsamkeit verleihen und manchem Leser sicherlich den Lesefluss etwas ausbremsen.
„Er spürte, dass es ihn nach unten auf das Gartengelände zog, dass ihn etwas antrieb, eine Neugierde oder seine anhaltende innere Unruhe, die etwas gegen seine Ratlosigkeit zu unternehmen forderte.“
Ich bin mir nicht sicher, ob ein solcher Satz das Lektorat eines Publikumsverlags ungeschoren überstehen würde. Ich denke, einem Debütanten würde man das nicht durchgehen lassen; einem bereits einigermaßen bekannten Autor hingegen womöglich schon. Warum auch immer. Der nächste Satz lautet:
„Er entschloss sich, trotz Dunkelheit zu versuchen auf das Gartenareal zu gelangen und verdrängte das dabei aufkommende Gefühl, den Gedanken an die Angst, die ihn wohl oder übel begleiten würde, wenn er sich dort unten den Weg durch die Familiengärten suchen würde.“
Abgesehen von den fehlenden Kommata, wirken solche Sätze etwas überladen und umständlich. Zumal hier der Lektor in mir anmerken würde, dass es problematisch ist, das „aufkommende Gefühl“ mit einem „Gedanken an die Angst“ gleichzusetzen, weil Gedanken und Gefühle kategorisch zwei verschiedene Dinge sind, die zwar in Wechselwirkung miteinander stehen, aber nicht dasselbe sein können.
Diese beiden hintereinander folgenden Sätze auf S. 131 des Buches sind von mir vollkommen zufällig, spontan und beliebig herausgegriffen worden. Ich habe vorher während der Lektüre nichts markiert und auch keine Post-its oder dergleichen genutzt, um bestimmte Textstellen wiederfinden zu können. Damit soll gesagt sein, dass man solche Sätze, die der Lektor in mir nicht ohne weiteres durchwinken würde, des Öfteren in dem Buch finden kann.
Einerseits erzeugt das eine gewisse Umständlichkeit; andererseits jedoch würde dieser Sprachstil aber auch passen zur Darstellung der Welt aus der Perspektive eines etwas kleinkariert anmutenden Korrektors, der in seiner Pedanterie darauf bedacht ist, alles so genau wie möglich zu schildern und dabei lieber etwas mehr sagt, als eventuell wichtige Informationen nicht zu geben.
Leider aber ist Armin Schweighauser nicht ein solch überspitzt gezeichneter Charakter. Vielmehr wirkt er total normal. Das ist nicht weiter schlimm, aber dadurch entfällt eben die Rechtfertigung für den etwas umständlichen und zuweilen verschroben wirkenden Sprachgebrauch.
Ich muss eingestehen, ich bin ein klein wenig enttäuscht. Diese leichte Enttäuschung liegt darin begründet, dass mir die Geschichte in gewisser Weise zu seicht schien. Zwar gibt es einen Mordfall, und Schweighauser verfängt sich in einem Netz von Lügen bzw. konstruierten Wahrheiten, aus dem er sich nicht mehr befreien kann, so dass das Ende des Romans an sich nichts Seichtes hat. Aber meine Erwartungshaltung gegenüber der Idee des Romans, dass ein kleiner, unbedeutender Korrektor durch Manipulation von Nachrichten neue Wahrheiten erschafft, war groß und wurde nicht von der Geschichte erfüllt. Ich hätte mir Auswirkungen gewünscht, die über das Lokalpolitische hinausgehen und absurde Entwicklungen zeitigen würden, die vielleicht sogar – im extremsten Fall – die gesamte Welt erfassen könnten. Auch hätte mir eine etwas seltsamere Korrektor-Figur gefallen, anstatt eines Protagonisten, von dem ich heute, etwa ein halbes Jahr nach der Lektüre, nicht viel mehr in Erinnerung behalten habe als seinen Namen und seinen Beruf.
Fazit
Doch zugleich sind das Wertungen, die meinen ganz persönlichen Vorlieben in Hinblick auf Literatur entspringen. Von meinem ganz unmaßgeblichen subjektiven Urteil abgesehen, bleibt nämlich festzustellen, dass es an dem Buch grundsätzlich nichts auszusetzen gibt. Es ist sprachlich und stilistisch im Grunde vollkommen in Ordnung und weder hierin noch in der Gestaltung zu unterscheiden von der Qualität jener Bücher, die aus renommierten Verlagshäusern kommen. Wenn ich oben die Sprache kritisiert habe, so ist das eine Kritik, die ich sicher auch an manchen Büchern aus Publikumsverlagen üben könnte. „Schweighausers Korrekturen“ von Ralph Schröder ist alles in allem ein unterhaltsames und interessantes Buch, insbesondere auch für diejenigen, die sich selbst mit Schreiben und Verlegen beschäftigen. Zum einen aufgrund des Inhalts des Buches, zum anderen aufgrund der gelungenen Gestaltung des Buches, das im Selbstverlag erschienen ist. Es ist ein Beispiel dafür, dass Selfpublishing-Werke qualitativ nicht notwendigerweise hinter Verlagstiteln zurückstehen müssen.
Das Buch
Ralph Schröder: Schweighausers Korrekturen. Roman (BoD 2016)
292 S., 19.99 EUR, ISBN 978-3-8423-6227-7
Der Autor
Mehr von und zu Ralph Schröder findet man auf seiner Website
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